Gut oder Schlecht

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Immer wieder kommt diese Frage. Ist meine Krankheit jetzt gut oder schlecht? Eigentlich ein bisschen zynisch.

Grundsätzlich natürlich schlecht. Es hat mich komplett aus dem “normalen” Leben geholt. Ich musste lernen eine neue Identität zu finden.
Mein Körper funktioniert nicht mehr wie vorher. Meine Körperbehinderung, verursacht durch den Tumor, beeinträchtigt mich in vielen Bereichen. Ich kann viele Dinge nicht mehr so leicht machen. Aufstehen, Laufen, sich drehen, nach Dingen greifen, Aufräumen, sich bücken, Wäsche aufhängen, alles dauert doppelt so lange wie normal und ich muss mich dafür konzentrieren. Das strengt an.
Ich weiss nicht immer genau, wo mein Schwerpunkt liegt. Ich warte immer darauf bis ich das weiss. Er pendelt sich ein. Nach 2 Sekunden weiss ich es meistens. Ändert sich meine Position beginnt das Spiel von neuem.
Meine Belastbarkeit ist stark eingeschränkt. Nach max. 2 h Konzentration ist bei mir Schicht im Schacht. Ich muss Pause machen. Mein Tempo hat sich um einiges reduziert. Ich arbeite nicht mehr. Den Anforderungen des modernen Arbeitslebens bin ich nicht mehr gewachsen. Gas, Gas, Gas. Das hat mir Spass gemacht. Hat mir auch viel gegeben. Es hat gar nicht so viel gebraucht das loszulassen. Sport geht auch nur noch in anderem Rahmen. Einfach losrennen, Fahrrad fahren, locker im Wiegeschritt einen Berg hochradeln, einen Ball fangen, Tischtennis. Alles nicht mehr möglich. Jetzt gehe ich einmal die Woche in die Physiotherapie und radle auf meinem Hometrainer durch den virtuellen Raum.

Wie kann ein Leben gut sein, wenn einem zentrale Punkte der Identität genommen wurden? Ganz einfach: Eine neue finden. Oder besser die Identität anpassen. Das passiert bei mir eher unbewusst. Aber immer getragen von einer inneren Ruhe. Die kann man sich nicht erarbeiten. Deshalb empfinde ich es auch nicht als meine Leistung gut damit umzugehen, sondern eher als alternativlose Situation auf die man sich einstellen muss.

Was prägt mein Leben jetzt? Die Familie, die Beziehungen zu meinen engsten. Eine wiederkehrende Reflektion was mir wichtig ist. Was für mich Bestand hat. Ich habe ein riesiges Glück diese Phase meines ohne finanzielle Ängste bestreiten zu können. Klar, ich werde kein Millionär mehr, aber ich kann gut leben.
Und dann mache ich Sachen, die mir Spass machen. Alles um das Thema Essen macht mir Laune – natürlich kochen. endlich habe ich dafür die Zeit. Das habe ich mir vorher immer schon gewünscht. Kochen, Freunde einladen, Räume schaffen für Begegnung, Beziehung und Genuß.
Ganz wichtig ist mir auch der laufende Dialog mit meinem Körper. Keine Ahnung was meine Krankheit ausgelöst hat. Ich weiss nur, dass ich lange wenig bis gar nicht auf meinen Körper gehört habe. Hier bin ich sehr sensibel geworden. Zwangsläufig. Ich brauche leichte sportliche Betätigung, viel Schlaf und Ruhe, meinen Rhytmus. Ich merke ziemlich schnell, wenn sich etwas nicht im Gleichgewicht befindet und dann wird angepasst. Ich bin ein viel bewussterer Mensch geworden. Da ich nicht mehr so viel machen kann wie vorher, muss ich mir die Dinge die ich tue sorgfältig aussuchen. Effektivität schlägt Effizienz. Die richtigen Dinge tun anstatt die Dinge richtig tun.

Das ist also ein Plädoyer für ein bewussteres Leben. Ich würde jetzt sagen, mein Leben ist viel wertvoller geworden. Aber natürlich gibt es auch diese Unsicherheit – Ungewissheit. Würde ein schlechter Befund alles ändern? Ich glaube nicht. Die Gewissheit dass es wahrscheinlich so kommen kann hat mein Leben ja erst zu dem gemacht was es jetzt ist.

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