Drei Wochen Reha. Wie bin ich darauf gekommen? Es wurde mir in der Onkologie nach der Chemo empfohlen und ich folgte der Empfehlung eines Freundes, der positive Erfahrung gemacht hatte. Also einfach mal probieren. Auch die krankheitsspezifische Expertise war ein Argument. Ich hatte Erwartungen, denn wirkliche Experten für meine spezielle Diagnose zu finden, ist ein Problem. Viele Altersgenossen erwartete ich nicht. Mir auch empfohlene Rehas für “Jüngere” boten sich nicht für neurologische Patienten an und somit war ich einer der jungen Hüpfer. Nach drei Stunden Zugfahrt kam ich dann in Bad Driburg an, schön idyllisch im Nirgendwo, Ende Mai.
Alles war sehr skurril. Es fühlte sich eher an wie ein Seniorenwohnheim. In meiner Wahrnehmung hatte jeder Zweite einen Rollator oder einen Rollstuhl. Natürlich weil der zweite Schwerpunkt der Klinik Orthopädie war.
Jeden Morgen sollte ich mich wiegen, Blutdruck und Puls messen. Das wurde dann kontrolliert. Wieso? Ich war sowieso extrem im Übergewicht. Das wusste ich doch. Das “Wieso” war ein Frage, die man sich nicht zu oft stellen durfte. Ich stellte die Frage erstmal zurück und lies mich auf so manche Sonderbarkeit ein. Bereut habe ich es nicht, auch, wenn ich es sehr befremdlich fand mir selbst bei Aktionen wie Wassergymnastik oder Feldenkrais zuzuschauen. Ich wurde runtergestuft in die Gruppe Koordination I. Hier konnte ich mithalten und mit Senioren Ringelrein tanzen. Mit Omi Hilde, die über 80 und unter 1,60 m war Hand in Hand durch den Raum zu gleiten war schon herzzerreißend. In der Neuropsychologie konnte ich mich davon überzeugen, dass meine kognitiven Fähigkeiten noch voll da waren, aber nach knapp einer Stunde hoher Konzentration rapide abnahmen. Mir ist es immer noch ein Rätsel wie ich so lange noch voll im Job arbeiten konnte. Aber der Körper kann wohl auch ungesunde Zustände einige Zeit lang aushalten.
An einem Wochenende fuhr ich für einen Tag nach Berlin. Das zweite Mal nach meinem Besuch im April. Morgens um 6 Uhr zum Bahnhof und um 22 Uhr wieder zurück für vier Stunden Zusammensein. Oh, wie es sich gelohnt hat. Wir trafen uns im Botanischen Garten und der Kleine zeigte mir wie schnell er rennen konnte. Es war toll und als wir uns beim Abschied zum ersten Mal vor ihm küssten, machte er große Augen.
Ich machte sogar Radtouren mit einer Tischnachbarin. Obwohl ich nicht sicher war, ob ich es wegen meiner Gleichgewichtsprobleme noch konnte, liehen wir uns Fahrräder aus. Alle paar Tage drehten wir eine Runde. Das hat mich gut geschafft. Zwei Jahre früher nahm ich an einem olympischen Triathlon teil und jetzt war ich nach 20 km total am Ende. Während einer Fahrt verabschiedete ich mich ins Weizenfeld. Ich muss mich aufs Gleichgewicht bezogen immer konzentrieren um selbiges zu behalten. Vergleichbar ist das am besten mit dem Zustand, den man mit 1,5 Promille hat. Auch ein Grund warum ich fast nicht mehr trinke, wenn ich nicht zu Hause bin. Bei meinem Abflug habe ich wohl einfach die Landschaft zu sehr genossen und bin zum Glück weich gelandet.
Nach drei Wochen wurde ich zum Glück entlassen. Es war gut dort gewesen zu sein. Einen so guten neurologischen Physiotherapeuten hatte ich bis jetzt nie wieder. Die neuropsychologischen Tests gaben mir die Sicherheit, dass eine Rückkehr in den Job fast unmöglich sein würde. Viele neue Impulse in einem ungewohnten Umfeld brachten mich zum Nachdenken. Ich konnte den Fokus komplett auf mich und meinen Körper legen und Eitelkeiten außen vor lassen.