Psychologische Unterstützung? Ich? Hatte ich noch nicht in Erwägung gezogen, bis es mir eine befreundete Ärztin empfahl und mich vor langen Wartezeiten warnte. Nachdem ich in der Onkologie Interesse bekundet hatte, bekam ich eine Woche später einen Termin. Wahnsinn, so schnell, keine Zeit sich umzuentscheiden. Ich ging ins LVR, der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Ich dachte eher an eine kleine anonyme Praxis in der Stadt und nicht an eine Klinik. Irgendwie schämte ich mich und schaute mich nach links und rechts um als ich aus der Straßenbahn stieg.
Der Klinikkomplex ist sehr schön. Alte Bäume, alte Gebäude, eine Nervenheilanstalt wie aus dem Bilderbuch. Ich wollte es ausprobieren, wenn die Chemie nicht stimmte würde ich einfach abbrechen. Vor allem versprach ich mir etwas davon mit jemandem zu reden, der nicht Teil meines privaten Systems war.
Ich hatte das Gefühl in jedem Gespräch, sei es mit Freunden oder Familie, müsse ich den Inhalt auf den Empfänger anpassen, ihn möglichst angenehm oder wenig Angst einflößend darstellen. Ich machte mir Gedanken was meine Situation bei meinen Gefährten auslöste. Das wurde anstrengend. Ich wollte frei reden und vielleicht auch tiefer liegende Themen ansprechen.
Das erzählte ich dann auch Philip Seymour Hoffman. Meinem Therapeuten, dem man eine gewisse Ähnlichkeit nicht absprechen konnte. Und die Chemie stimmte. Ich konnte reden, auch wenn seine Fragen mich manchmal irritierten. “Nein, ich will mich nicht aufs Sofa legen; Nein, ich hege keine Selbstmordgedanken.” Ein befreundeter Psychologe sagte mir er müsse das fragen.
Nun waren wir hier und schnell im Thema. Ich konnte über alles reden. Das zentrale Thema war dann die Verarbeitung des Schmerzes darüber, Lebensträume loslassen zu müssen. Auch wenn ich das nie bewusst formuliert hatte, hatte ich immer das Bild im Kopf wie ich als Opa meinem Enkel auf dem Schoß Geschichten erzählte. Irgendwie unrealistisch in meiner jetzigen Situation. Ich konnte das so stehen lassen. Das Benennen half. Die Zeit mit meinem Neffen und meiner Nichte half. Kinder sind Komplizen auf der Flucht aus der Zukunftsangst. Man kann mit ihnen im Hier und Jetzt sein. Das war eine Wohltat, immer wenn ich mitfliehen durfte.
Mein Leben vorher war eher von dem Gedanken geprägt was ich einmal in 5-10 Jahren erreichen wollte. Genau diese Zukunft, die jetzt in Gefahr war. Als Reaktion darauf wurde der Moment so viel wertvoller und ich konnte mich mehr und mehr auf das Jetzt einlassen. Flucht in die Gegenwart klingt eigentlich absurd. Im Umkehrschluss lebte ich mein Leben bisher in der Hoffnung auf eine schöne Zukunft. Ernüchternd, wenn man das erkennt. Das habe ich aber erst Stück für Stück für mich so gesehen. Die Treffen mit meinem Therapeuten waren der Ausgangspunkt für diese Gedanken.